Wässrige Tomaten… Bedrohte Bauern

Die Macht liegt beim Konsumenten und der wird mit Lebensmittel-Attrappen betrogen. Davon ist der Bio-Pionier Werner Lampert überzeugt.

TT: Ein Drittel aller Österreicher kauft bereits beim Diskonter ein – will also wenig Geld für Lebensmittel ausgeben: Das ist der Trend. Sie sagen in Ihrem Buch, dass unsere Lebensmittel qualitativ nichts mehr wert sind, weil sie in der Masse mies produziert werden und fordern ein Umdenken. Sind diese Billig-Einkäufer für Sie wahnsinnig?

Lampert: Für anonyme Qualität soll man auch wenig bezahlen. Die Konsumenten haben Recht, wenn sie für austauschbare Produkte wenig Geld ausgeben wollen und zu Diskontern gehen. Wenn der Konsument nicht nachvollziehen kann, woher das Produkt kommt, kann der Kampf nur über den Preis ausgeführt werden. In den letzten zwanzig Jahren sind in der Lebensmittelbranche so viele Lügen erzählt worden, dass die Leute kritischer geworden sind. Sie glauben die Märchen von Produktherstellern nicht mehr. beim Diskonter ist wenigstens garantiert, dass sie garantiert wenig ausgeben.

TT: Sie glauben, dass viele der Konsumenten mehr Geld für Lebensmittel ausgeben würden, wenn die Qualität besser wäre bzw, sie wüssten, woher das Essen kommt?

Lampert: Man weiß, dass 40 Prozent der Konsumenten Qualität kaufen wollen und dafür auch mehr bezahlen würden. Es ihnen nicht egal, was sie essen. Ihre Bedürfnisse werden aber einfach nicht erfüllt. Die Lebensmittelindustrie produziert an ihnen vorbei. Dass der Konsument durchaus mehr Geld’ hinlegen würde, sieht man an einzelnen Nischen. Etwa an der Tirol Milch. Die machen das ganz gut. Das ist eine hohe Qualität, ein regionales Produkt. Die Tiroler Konsumenten greifen hin, kaufen es und lassen dafür fremde Milchprodukte gerne stehen. Das zeigt die Realität in Supermärkten. Hier weiß der Konsument, wofür er sein Geld ausgibt. Bei einem No-Name-Schnitzel weiß er es nicht, deshalb nimmt er das Billigste. Wenn die Leute wüssten, wie unappetitlich das Schwein wirklich gehalten worden ist, dann würden sie das Fleisch nie anrühren. Aber sie werden ja mit netten Bildern belogen und Wissen es nicht.

TT: Deshalb sollte Österreichs Landwirtschaft nicht beim Preiskampf mitspielen.

Lampert: Ja, die Entwicklung in der Landwirtschaft ist in die falsche Richtung gelaufen. Die EU gibt unvorstellbar hohe Beträge dafür pro Jahr aus, die Bauern müssen immer mehr arbeiten, die Kühe immer mehr Milch geben, die Masttiere immer schneller schlachtreif werden, der Einsatz von Pestiziden ist gestiegen. Trotz hoher Subventionen haben kleine Bauern keine Chance. EU-weit werden jährlich 200.000 Höfe aufgegeben. Nur die Großen überleben. Bei diesem System gibt es auf Dauer nur Verlierer. Der Druck auf die Erzeugerpreise wird zunehmen. Österreichs Bauern haben nur dann Zukunft, wenn sie Lebensmittel anbauen, die nicht austauschbar sind. Masse . funktioniert nicht. Unsere Kleinbauern werden sonst wegsterben oder angestellte Landschaftsgärtner. Und wir leiden unter BSE-, Nitrofen-, Dioxin-Skandalen, pestizidbelastetem Gemüse und, und, und. Ganz abgesehen davon, dass in Masse Produziertes nicht schmeckt oder mögen Sie Lebensmittel-Attrappen wie, wässrige, geschmacklose Tomaten?

TT: Nicht unbedingt. Und diese Entwicklung können wir Konsumenten aufhalten?

Lampert: Ja, diese Macht haben wir. Dort wo das Geld hinfließt, ist die Macht. Wir brauchen nicht auf Brüssel oder sonst wen schimpfen, wir müssen einfach nur unser Kaufverhalten ändern.

TT: Die meisten vertrauen aber ohnehin darauf, dass es in Österreich besser ist als anderswo. Hier ist die Bauernwelt für viele noch intakt. Lampert: Das täuscht. Eine großer Schweinezuchtbetrieb in Österreich unterscheidet sich kaum von jenen in Holland. Die Zustände sind hier genauso dramatisch. Der Konsument bekommt das nur nicht mit. Was glauben Sie, warum die Stalltüren geschlossen sind? – Damit keiner sieht, wie es den Tieren geht, bevor sie zu unseren Schnitzeln werden.

Das Gespräch führte Liane Pircher

ZUR PERSON

Werner Lampert, gebürtiger Vorarlberger, gilt als Bio-Pionier. (Er erfand vor zehn Jahren die erste Bio-Linie für Supermärkte, nämlich “Ja! Natürlich”. Von Lampert ist soeben das Buch “Schmeckt’s noch?’ Was wir wirklich essen” (Verlag ecowin) erschienen.

Kein Lebensmittel ohne Zusatzstoffe

Lamperts Buch ist ein Einkaufsführer der anderen Art. Man erfährt Neues über alltäglich Gekauftes. Brot: Brot zu backen ist heute ein industrieller Prozess. Bäcker sind hoch qualifizierte Technologen, die eine Fülle von Hilfsmitteln zur Verfügung haben. Lampert führt knapp 60 gängige Mehlbehandlungs-, Back-, und Trennmittel auf. Da wäre etwa Cystein, eine schwefelhältige Aminosäure, die dem Teig beigefügt wird, um die Mehlreifung zu beschleunigen und die Teigelastizität zu verbessern.

Mastschweine Schweinefleisch: Fettes Fleisch wird zunehmend abgelehnt, deshalb werden Schweine mit hohen Magerfleischanteil gezüchtet. Der geforderte hohe Muskelzuwachs bringt es mit sich, dass Mastschweine mit nur fünfeinhalb Monaten bereits ein Schlachtendgewicht von’ 100 bis 120 kg haben. Obwohl das Schwein noch Milchzähne hat, trägt es mit hundert Kilo den Körper eines erwachsenen Schweines. Die Konsequenz dieser Wachstumsbelastung: die Tiere leiden unter Herzschwäche, Schmerzen und Gelenksfehlentwicklungen. Viele Schweine werden ohne Stroh, direkt über ihren Fäkalien mit hoher Besatzdichte gehalten. Das führt zu Stress. Verhaltensstörungen wie “Schwanz- und Ohrenbeißen” stehen an der Tagesordnung. Das Fleisch von diesen Tieren essen wir.
Pestizide im Gemüse Obst und Gemüse: Konsumenten wissen nicht, “welche Pestizidmengen sie mit gekauften Äpfeln, Tomaten oder Erdbeeren nach Hause tragen”, so Lampert. Deutsche Kontrollen ergaben, dass Erdbeeren zu 99% mit Pestiziden belastet sind. Die Daten stammen vom “Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart” (CVUA). In Österreich seien es nur 54% gewesen. Wie das, wenn die meisten Erdbeeren in beiden Ländern aus Spanien kommen? – 22 der 55 Pestizide, die in »deutschen« Erdbeeren gefunden wurden, gab es in Österreich. Die Testmethode ist auf weniger Wirkstoffe beschränkt. So suchten die deutschen Behörden 2002 in Obst und Gemüse nach 399 Pestiziden, hier nach 217 Wirkstoffen. Es gibt auch nur eine Höchstzulassung für einzelne Pestizide, nicht aber für die Summe aller Pestizide.

[Freitag 11. November 2005 “SERVICE” Tiroler Tageszeitung Nr. 261 (S. 7)]


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